Stadtverwaltung Bergheim schränkt Fragerecht eines Bürgers ein
Sind dem Bürgermeister Volker Mießeler die Meinungen und Fragen der Bürger wirklich “enorm wichtig”?
Am 22. März 2021 tagte der Rat der Stadt Bergheim (Tagesordnung hier, Protokoll hier). In der Einwohnerfragestunde (TOP 1) habe ich eine Frage gestellt (“Wie viele mobile Luftreinigungsanlagen setzt die Stadt Bergheim in ihren Gebäuden ein? Wenn dies mehr als null sind, welche und wo?”). Die Antwort wurde zur Niederschrift gegeben. Unter TOP 27 der Ratssitzung fragte laut Protokoll eine Stadträtin von der CDU, “ob es gewollt und zulässig sei, dass sachkundige Bürger die Einwohnerfragestunde im Rat dazu nutzen, um eine Frage zu stellen, die ebenso im Ausschuss für Bildung, Sport und Kultur gestellt werden könnte, in dem eben dieser sachkundige Bürger Mitglied sei”.
Laut Protokoll antwortete der Bürgermeister Volker Mießeler (CDU), dass er momentan davon ausginge, dass dies zulässig sei. Er wolle die Angelegenheit allerdings “grundsätzlich nochmals prüfen lassen”.
Im Protokoll ist das Ergebnis dieser Prüfung zu lesen:
[…] Rats- und Ausschussmitglieder haben grundsätzlich erst einmal nur das in § 15 bzw. § 26 der Geschäftsordnung des Rates geregelte schriftliche und mündliche Fragerecht. […] Lediglich in persönlichen Angelegenheiten besteht für Ausschussmitglieder (und Ratsmitglieder) die Möglichkeit, diese im Rahmen der Einwohnerfragestunde zur Geltung zu bringen (vgl. Urteil OVG NRW vom 18.08.1989, 15 A 1473/87).
Da diese Antwort nicht ganz eindeutig ist, habe ich am 15. Mai 2021 per Mail nachgefragt. Aus der Antwort des Bürgermeisterbüros (Mail vom 21. Mai 2021) geht hervor, dass ein Einwohner, der als sachkundiger Bürger Mitglied eines Ausschusses, aber nicht Mitglied des Rates ist, in den Einwohnerfragestunden des Rates und anderer Ausschüsse keine Frage stellen darf, die die Belange der Stadt betreffen: “Ein Fragerecht gem. § 17 GeschO in der Einwohnerfragestunde des Rates oder eines anderen Ausschusses für den von Ihnen beschriebenen Personenkreis besteht lediglich in persönlichen Angelegenheiten.”
In einem Brief vom 27. Mai 2021 an den Bürgermeister habe ich dazu geschrieben:
Diese Rechtsauffassung kann ich weder gutheißen noch nachvollziehen. Ich habe meine Frage als Einwohner in einer Sitzung des Stadtrats gestellt, nicht als sachkundiger Bürger des Schulausschusses. Meine Frage bezog sich nicht (bzw. nicht nur) auf Belange des Schulausschusses.
In der Geschäftsordnung des Rates (§ 17) lese ich:
In den Sitzungen des Rates und der Ausschüsse finden […] Einwohnerfragestunden statt. Jede Einwohnerin/Jeder Einwohner der Kreisstadt Bergheim ist berechtigt, mündliche Anfragen an die Bürgermeisterin/den Bürgermeister zu richten.
Die Geschäftsordnung gewährt mir als Ausschussmitglied ein Fragerecht (§§ 15, 25), allerdings “nur in Belangen des jeweiligen Ausschusses” (§ 26). An keiner Stelle schränken diese Regelungen mein Fragerecht als Einwohner (in der Einwohnerfragestunde des Rats oder anderer Ausschüsse) ein.
Folgt man der Rechtsauffassung Ihrer Verwaltung, ist ein sachkundiger Bürger ohne triftigen Grund schlechter gestellt als ein “normaler” Einwohner, was das Fragerecht angeht. Sie steht sogar im Widerspruch zu § 17 der Geschäftsordnung.
Das Urteil des OVG NRW vom 18.08.1989 taugt nicht zur Begründung der Rechtsauffassung der Verwaltung. In dem zugehörigen Fall ging es um das Mitglied eines Stadtrates, nicht um einen sachkundigen Bürger, der nur Mitglied eines Ausschusses ist. Aus dem Urteil:
Sinnvoll ist allein ein Gesetzesverständnis, das den Kreis der durch das Einwohnerfragerecht Begünstigten so begrenzt, daß davon die Mitglieder des Rates, denen ein eigenes Fragerecht vorbehalten ist, jedenfalls im Grundsatz ausgenommen bleiben.
Von daher weiß ich nicht, warum die Verwaltung auf dieses Urteil verweist — es sei denn, sie will mich und andere in die Irre führen.
Die Stadt Bergheim und Sie als Bürgermeister haben sich die “Bürgerbeteiligung” auf die Fahnen geschrieben. Auf den Internetseiten der Stadt ist zu lesen [zum Teil noch über ein Internetarchiv einsehbar, siehe hier]:
Als Bürgermeister für die Menschen in Bergheim und als Chef einer modernen Verwaltung ist es Volker Mießelers Ziel, einen ständigen Dialog zwischen ihm und seiner Verwaltung und der Bergheimer Bevölkerung auf den Weg zu bringen.
bzw.
Als neuer Bürgermeister möchte Volker Mießeler den Themen Bürgernähe und Bürgerbeteiligung einen ganz besonderen Stellenwert geben. “Ich möchte Bürgermeister aller Bürgerinnen und Bürger in Bergheim sein. Ihre Meinungen, Fragestellungen, Anregungen und Kritiken sowie ein direkter Gedankenaustausch sind mir enorm wichtig. […] Wer sich also aktiv beteiligen und die Zukunft Bergheims mit gestalten möchte, kann sich auch dazu gerne mit mir persönlich austauschen”, so Bürgermeister Volker Mießeler.
Wenn das alles ernst und ehrlich gemeint ist, erschließt es sich mir umso weniger, warum die Verwaltung einem Einwohner, der nebenbei sachkundiger Bürger ist, das Fragerecht in der Einwohnerfragestunde des Rates verwehrt. Mir drängt sich — auch aufgrund ähnlicher Erfahrungen in anderen Angelegenheiten — der Eindruck auf, dass die Bürgerbeteiligung nur in engen, gelenkten, der Stadt genehmen Bahnen stattfinden soll. Kaum beteiligt sich ein Bürger durch Engagement im Schulausschuss und durch Fragen in der Einwohnerfragestunde “etwas zu viel”, werden ihm ohne triftigen Grund Schranken aufgezeigt. Modern, einladend und demokratisch ist das nicht. Sind Ihnen meine “Meinungen, Fragestellungen, Anregungen und Kritiken” wirklich “enorm wichtig”? — Die Beteiligung bei der Wahl des Bergheimer Stadtrates am 13.9.2020 betrug 46,89 %. Ist diese geringe Quote nicht ein Alarmzeichen, dass etwas bei der “Bürgerbeteiligung” schiefläuft?
Übrigens, in dem von der Verwaltung zitierten Gerichtsurteil heißt es ferner:
Die gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Einwohnerfragestunden in § 33 Abs. 1 Satz 3 GO ist durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 15. Mai 1979, GV NW 408, geschaffen worden. Der Sinn der damaligen Gesetzesänderung bestand erklärtermaßen darin, die Möglichkeiten der Bürger zur Mitwirkung an der Gemeindeverwaltung zu verbessern, das Interesse der Öffentlichkeit an der Tätigkeit des Rates zu beleben und der Gefahr einer Entfremdung zwischen Einwohnerschaft und Gemeindeverwaltung entgegenzuwirken.
Die willkürliche Einschränkung des Fragerechts von Einwohnern, die nebenbei sachkundige Bürger sind, wirkt diesen Zielen entgegen. Das “Interesse der Öffentlichkeit an der Tätigkeit des Rates” scheint in Bergheim nicht besonders hoch zu sein: Von Beginn der Ratsperiode im November 2020 bis Ende April 2021 fanden insgesamt 19 Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse statt. Laut den 17 bisher veröffentlichten Niederschriften gab es nur einen Einwohner, der in den Einwohnerfragestunden eine Frage gestellt hat: einmal in der 2. Sitzung und einmal in der 5. Sitzung des Rates…
Wenn es darum geht, “das Interesse der Öffentlichkeit an der Tätigkeit des Rates zu beleben und der Gefahr einer Entfremdung zwischen Einwohnerschaft und Gemeindeverwaltung entgegenzuwirken”, sollten die Stadtverwaltung und der Stadtrat froh sein über jede Frage, die ein Einwohner stellt — egal ob er “nebenbei” sachkundiger Bürger ist oder nicht.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die Rechtsauffassung Ihrer Verwaltung zu revidieren.
Die Stadtverwaltung Bergheim blieb bei ihrer Auffassung. Per Mail teilte sie mir am 8. Juni 2021 mit: “Adressaten der Einwohnerfragestunde sind die Gemeindeeinwohner, die außerhalb der Verwaltung stehen. Deren Rechtsstellung soll hiermit verbessert werden. Nicht hingegen erfasst werden sollen die bereits an der Gemeindeverwaltung beteiligten Funktionsträger, wie Sie als Ausschussmitglied.”
Tja, wer sich als sachkundiger Bürger engagiert, dessen Fragerecht als Einwohner wird eingeschränkt. So läuft das in Bergheim.